“Unsere Schlacht, Griechenland zu retten” – Auszüge aus dem Interview von Harry Lambert mit Yanis Varoufakis
Yanis Varoufakis full transcript: Our battle to save Greece, veröffentlicht im New Statesman am 13.7.2015
Dieses Gespräch fand vor der Vereinbarung statt.
Harry Lambert: Und, wie fühlen Sie sich?
Yanis Varoufakis: Ich muss nicht mehr nach diesem hektischen Terminkalender leben, der völlig unmenschlich war, einfach unglaublich. Ich hatte fünf Monate lang zwei Stunden Schlaf täglich… Ich bin auch erleichtert, dass ich nicht länger diesen unglaublichen Druck aufrechterhalten muss, um eine Position zu verhandeln, die zu verteidigen selbst dann schwierig wäre, wenn es möglich gewesen wäre, die andere Seite zum Nachgeben zu zwingen, wenn Sie wissen, was ich meine.
HL: Wie war das? Hat Ihnen irgendein Aspekt davon gefallen?
YV: Nun, eine Menge davon. Die Insider-Informationen zu bekommen… seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt zu erhalten… Wenn die „Macht“ direkt direkt mit Dir spricht, dann ist es einerseits, wie man es befürchtet hat – die Situation war aber schlimmer, als man sich es vorgestellt hat! Also das war schon Spaß, einen Sitz in der ersten Reihe haben.
HL: Worauf beziehen Sie sich?
YV: Das völlig Fehlen diplomatischer Skrupel auf Seiten der vermeintlichen Verteidiger der europäischen Demokratie. Das ziemlich klare Verständnis auf der anderen Seite, dass wir analytisch auf der selben Seite stehen – natürlich wird das jetzt nie zugegeben werden. Und doch ist es so, dass sehr mächtige Personen einem in die Augen schauen und sagen, „Sie haben Recht mit dem, was Sie sagen, aber wir werden Euch dennoch zerquetschen.“
HL: Sie haben gesagt, die Gläubiger hätten Sie abgelehnt, weil „ich es versuche und in der Eurogruppe von Wirtschaft rede, was niemand tut.“ Was passierte, als Sie es taten?
YV: Nicht, dass es nicht gut angekommen wäre – es gab schlicht eine völlige Weigerung, ökonimisch zu argumentieren. Völlig … Man bringt ein Argument vor, an dem man wirklich gearbeitet hat – um sicher zu sein, dass es logisch und schlüssig ist – und dann schaut man in leere Gesichter. Es ist, als hätte man nichts gesagt. Man hätte ebenso gut die schwedische Nationalhymne singen können – man hätte die gleiche Antwort erhalten. Und das ist irritierend, für jemanden, der an akademische Debatten gewöhnt ist… Es war noch nicht einmal, dass sie beleidigt waren, es war, als hätte niemand etwas gesagt.
HL: Als Sie das erste Mal ankamen, Anfang Februar, kann das noch keine einheitliche Position gewesen sein?
YV: Nun, es gab Leute, die auf einer persönlichen Ebene Sympathien hatten – also, wissen Sie, hinter verschlossenen Türen, auf einer informellen Basis, insbesondere vom IWF. Aber dann, in der Eurogruppe, ein paar freundliche Worte, und das ist es, zurück hinter die Brüstung der offiziellen Version.
Aber Schäuble war durchweg stimmig. Seine Sicht war, „Ich diskutiere das Programm nicht – es wurde von der vorhergehenden Regierung akzeptiert, und wir können es unmöglich erlauben, dass Wahlen irgend etwas ändern. Denn wir haben die ganze Zeit Wahlen, wenn immer bei einer Wahl sich etwas ändern würde, dann würden die Verträge zwischen uns nichts bedeuten.“
Also an diesem Punkt musste ich aufstehen und sagen, „Nun, vielleicht sollten wir einfach in den Schuldnerländern keine Wahlen mehr abhalten,“ aber da gab es keine Antwort. Die einzige Deutung, die ich aus ihrer Sicht geben kann, ist, „Ja, das wäre eine gute Idee, aber schwierig umzusetzen. Also entweder Sie unterschreiben auf der gepunkteten Linie, oder Sie sind raus.“
HL: Und Merkel?
YV: Sie müssen verstehen, ich hatte nie irgend etwas mit Merkel zu tun, Finanzminister reden mit Finanzministern, Premierminister reden mit Kanzlern. Nach meinem Verständnis war sie sehr anders. Sie versuchte, Tsipras zu besänftigen – sie sagte, „wir finden eine Lösung, machen Sie sich keine Sorgen, ich werde nicht zulassen, dass etwas Hässliches passiert, machen Sie nur ihre Hausaufgaben, arbeiten Sie mit den Institutionen, arbeiten Sie mit der Troika; das wird keine Sackgasse sein.“
Das ist nicht, was ich von meinem Gegner gehört habe – sowohl vom Leiter der Eurogruppe wie von Dr. Schäuble, sie waren sehr deutlich. Ab einem gewissen Punkt wurde mir einstimmig gesagt: „Das ist ein Pferd, entweder Sie steigen jetzt auf, oder das Pferd ist tot.“
HL: Wann genau war das?
YV: Am Anfang, gleich am Anfang. Die erste Begegnung war Anfang Februar.
HL: Warum dann weiter herumtun bis in den Sommer?
YV: Nun, man hatte keine Alternative. Unsere Regierung wurde gewählt mit dem Mandat, zu verhandeln. Also war unser erster Auftrag, Raum und Zeit zu schaffen, um eine Verhandlung durchzuführen und zu einer anderen Übereinkunft zu kommen. Das war unser Auftrag – unser Auftrag war, zu verhandeln, nicht, uns mit unseren Gläubigern zu prügeln…
Die Verhandlungen brauchten ewig, weil die andere Seite sich weigerte, zu verhandeln. Sie bestanden auf einer „umfassenden Übereinkunft“, was heißt, sie wollten über alles reden. Meine Deutung ist, wenn man über alles redet, will man über Nichts reden. Aber wir haben mitgespielt.
Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel. Sie sagen, wir brauchen alle Eure Daten über die Haushaltsentwicklung in Griechenland, wir brauchen alle Daten der Unternehmen in Staatsbesitz. Also verbrachten wir viel Zeit damit, ihnen all diese Daten zu beschaffen, und Fragebogen zu beantworten, und hatten ungezählte Treffen, um diese Daten zu beschaffen.
Also das war die erste Phase. Die zweite Phase war, als sie uns fragten, was wir mit der Mehrwertsteuer tun wollten. Dann lehnten sie unseren Vorschlag ab, ohne mit einem eigenen Vorschlag kommen. Und dann, ehe wir eine Chance hatten, mit ihnen bezüglich der Mehrwertsteuer übereinzukommen, gehen sie zu einem anderen Thema weiter, z.B. Privatisierung. Sie fragen, was wir bezüglich Privatisierung vorhaben, wir bringen etwas vor, sie weisen es zurück. Dann gehen sie weiter zu einem anderen Thema, wie den Renten, von da zum Markt für Produkte, von dort zu den Arbeitsverhältnissen, von dort zu allerlei anderem Zeug, ja? Also war das wie eine Katze, die ihren eigenen Schwanz jagt.
Wir fühlten, die Regierung fühlte, dass wir diesen Prozess nicht abbrechen konnten. Schauen Sie, mein Vorschlag von Anfang an war dieser: Dies ist ein Land, das auf Grund gelaufen ist, schon vor langer Zeit auf Grund gelaufen… Sicher müssen wir dieses Land reformieren – darüber waren wir uns einig. Weil Zeit bedeutend ist, und weil die Zentralbank während der Verhandlungen Druck auf die Liquidität der griechischen Banken ausübte, um uns unter Druck zu setzen, damit wir unterliegen, war mein ständiger Vorschlag an die Troika sehr einfach: kommen wir über die drei oder vier wichtigen Reformen überein, über die wir übereinkommen können, wie das Steuersystem, die Mehrwertsteuer, und die sofort umsetzen. Und Sie nehmen die Liquiditätsbeschränkungen der EZB zurück. Sie wollen eine umfassende Übereinkunft – okay, verhandeln wir weiter – aber in der Zwischenzeit bringen wir schon mal die Reformen ins Parlament, bei denen wir uns einig sind.
Und sie sagten, „Nein, nein, nein, das muss eine umfassende Überprüfung sein. Nichts wird umgesetzt, wenn Sie es wagen, irgendwelche Gesetze auf den Weg zu bringen. Das wird als einseitige Handlung betrachtet werden, die sich feindselig gegen den Prozess richtet, zu einer Übereinkunft zu kommen.“ Und dann, einige Monate später, plaudern sie den Medien gegenüber aus, dass wir das Land nicht reformiert hätten, und dass wir Zeit vergeuden würden! Und so… [kichert] wurden wir in eine Falle gelockt.
Also zu dem Zeitpunkt, als die Liquidität fast völlig verschwand, und wir bankrott waren, oder fast bankrott, beim IWF, da brachten sie Vorschläge ein, die völlig unmöglich waren… absolut nicht gangbar und giftig. Also sie verzögerten, und dann kamen sie mit einer Art von Vorschlag, wie man ihn präsentiert, wenn man keine Übereinkunft will.
HL: Haben Sie versucht, mit den Regierungen der anderen Schuldnerländer zusammenzuarbeiten?
Die Antwort ist Nein, und der Grund dafür ist sehr einfach: von Anfang an machten gerade diese Länder es sehr klar, dass sie die energischsten Feinde unserer Regierung sind, gleich von Anfang an. Und der Grund dafür war, dass unser Erfolg ihr schlimmster Alptraum ist: hätten wir es geschafft, für Griechenland einen besseren Deal zu verhandeln, dann hätte das sie natürlich politisch erledigt, sie müssten ihrem eigenen Volk antworten, warum sie nicht so verhandelt hätten, wie wir das taten.
HL: Und Zusammenarbeit mit Parteien, die sympathisieren, wie Podemos?
YV: Nicht wirklich. Ich meine, wir hatten immer eine gute Beziehung zu ihnen, aber da gab es nichts, was sie tun konnten – ihre Stimme würde nie in die Eurogruppe durchdringen. Und tatsächlich, je mehr sie zu unseren Gunsten sagten, was sie taten, desto feindseliger wurde der Finanzminister ihres Landes uns gegenüber.
HL: Was ist das größte Problem mit der Funktionsweise der Eurogruppe?
YV: [Um ein Beispiel zu geben…] Es gab einen Augenblick, als der Präsident der Eurogruppe beschloss, gegen uns vorzugehen uns uns tatsächlich ausschloss, und es bekannt machte, dass Griechenland eigentlich auf dem Weg aus der Eurozone heraus war…Es gibt die Sitte, dass Veröffentlichungen einstimmig sein müssen, und der Präsident kann nicht einfach ein Treffen der Eurozone einberufen und ein Mitgliedsland ausschließen. Und er sagte, „Oh, ich bin sicher, dass ich das tun kann.“ Für 5-10 Minuten wurde das Treffen unterbrochen, Angestellte, Funktionäre redeten miteinander, am Telefon, und irgendwann sprach mich ein Funktionär, irgendein Rechtsexperte, an, und sagte Folgendes, dass „nun, die Eurogruppe gibt es juristisch nicht, es gibt keinen Vertrag, der diese Gruppe einberufen hat.“
Also wir haben eine nicht existierende Gruppe, die die größte Macht hat, das Leben der Europäer zu bestimmen. Sie ist niemand Rechenschaft schuldig, da sie juristisch nicht existiert; es werden keine Aufzeichnungen erstellt; und sie ist vertraulich. Kein Bürger weiß jemals, was dort drin gesagt wird… Das sind Entscheidungen über Leben und Tod, und kein Mitglied ist irgend jemand eine Antwort schuldig.
HL: Und diese Gruppe wird von der deutschen Haltung beherrscht?
YV: Ja, völlig und absolut. Nicht von Haltungen – vom deutschen Finanzminister. Es ist alles wie ein gut gestimmtes Orchester, und er ist der Dirigent. Alles passiert gestimmt. Es gibt Momente, in denen das Orchester verstimmt ist, aber er holt es zusammen und bringt es zurück auf Linie.
HL: Gibt es keine andere Macht innerhalb der Gruppe, können die Franzosen dieser Macht etwas entgegensetzen?
YV: Nur der französische Finanzminister hat Geräusche gemacht, die sich von der deutschen Linie unterschieden, und diese Geräusche waren sehr unauffällig. Man konnte fühlen, dass er sehr vorsichtig mit den Wörtern jonglierte, um nicht als Opposition gesehen zu werden. Und in der abschließenden Analyse, wenn Doc Schäuble antwortete und tatsächlich die offizielle Linie festlegte, dann gab der französische Finanzminister am Ende immer nach und akzeptierte es.
HL: 2013 schrieben Sie: „Ein griechischer oder portugiesischer oder italienischer Ausstieg aus der Eurozone würde bald zu einer Fragmentierung des europäischen Kapitalismus führen … Wer würde wohl von dieser Entwicklung profitieren? Eine progressive Linke, die wie ein Phönix aus der Asche der europäischen öffentlichen Institutionen steigt? Oder die Nazis der Goldenen Morgenröte, die verschiedenen NeofaschistInnen, die Xenophoben und die Kleinkriminellen?“ (Zitat aus der Übersetzung der schweizer WOZ, A.d.Ü.)…. würde ein Grexit unvermeidlich der Goldenen Morgenröte helfen, denken Sie das noch immer?
YV: Nun, sehen Sie, ich glaube nicht an deterministische Versionen der Geschichte. Syriza ist jetzt eine sehr dominante Kraft. Wenn es uns gelingt, aus diesem Durcheinander vereint herauszukommen, um einen Grexit gut durchzuführen … dann wäre es möglich, eine Alternative zu haben. Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir das handhaben könnten, denn es braucht eine Menge Fachwissen, um den Zusammenbruch einer Währungsunion zu managen, und ich bin mir nicht sicher, ob wir das hier in Griechenland ohne Hilfe von Außen haben.
HL: Sie müssen vom ersten Tag an an einen Grexit gedacht haben…
YV: Ja, absolut.
HL: … wurden Vorbereitungen getroffen?
YV: Die Antwort ist Ja und Nein. Wir hatten eine kleine Gruppen, ein ‘Kriegskabinett’, im Ministerium, etwa fünf Leute, die das gemacht haben: wir haben es theoretisch durchdacht, auf Papier, was alles getan werden müsste, um sich für einen Grexit vorzubereiten. Aber es ist eine Sache, das auf der Ebene von 4-5 Leuten zu machen, und eine ganz andere, das Land darauf vorzubereiten. Um das Land vorzubereiten, müsste es eine Entscheidung der Führung geben, und diese Entscheidung fiel nie.
HL: Aber in den letzten Wochen, war es so, dass Sie fühlten, in Richtung Grexit zu neigen?
YV: Meine Sicht war, wir sollten sehr vorsichtig sein, diese Vorstellung nicht zu aktivieren. Ich wollte nicht, dass das eine selbsterfüllende Prophezeiung wird. Ich wollte nicht, dass das wie Nietzsches berühmtes Zitat wird, nachdem man lange genug in den Abgrund starrt, der Abgrund zurück starrt. Aber ich glaubte auch, dass wir in dem Moment, als die Eurogruppe unsere Banken dicht machte, diesen Prozess vorantreiben sollten.
HL: Richtig. Also gab es zwei Möglichkeiten, soweit ich sehen kann – einen unmittelbaren Grexit, oder Schuldscheine drucken und die Kontrolle über die Bank von Griechenland übernehmen möglicher- aber nicht notwendigerweise einen Grexit vorwegnehmend?
YV: Sicher, sicher. Ich habe nie geglaubt, wir sollten direkt zu einer neuen Währung übergehen. Meine Sicht war – und das habe ich der Regierung vorgetragen – dass wir, wenn sie es wagen sollten, unsere Banken zu schließen, was ich für einen aggressiven Zug unglaublicher Größenordnung hielt, wir aggressiv antworten sollten, aber ohne den point of no return zu überschreiten.
Wir sollten unsere eigenen Schuldscheine ausgeben, oder zumindest verkünden, dass wir unsere eigene auf Euro lautende Liquidität herausgeben werden; wir sollten die griechischen Schulden von 2012, die die EZB hält, einem Schuldenschnitt unterwerfen oder zumindest verkünden, dass wir es tun werden; und wir sollten die Bank von Griechenland unter unsere Kontrolle bringen. Das war das Triptychon, die drei Dinge, mit denen wir meiner Meinung nach antworten sollten, wenn die EZB unsere Banken schließt.
… Ich habe das Kabinett gewarnt, dass das passieren wird, einen Monat lang, um uns in eine demütigende Übereinkunft zu zwingen. Als es dann geschah, konnten es viele meiner Kollegen nicht glauben – meine Empfehlung, „energisch“ zu antworten, wurde, sagen wir mal, niedergestimmt.
HL: Und wie knapp davor war es , zu passieren?
YV: Nun, lassen Sie mich sagen, von sechs Leuten waren wir eine Minderheit von zwei… Sobald das nicht geschah, bekam ich meine Anweisung, die Banken in Übereinstimmung mit der EZB und der Bank von Griechenland zu schließen, wogegen ich war, was ich aber machte, weil ich ein Mannschaftsspieler bin, ich glaube an kollektive Verantwortung.
Und dann fand das Referendum statt, und das Referendum gab uns einen faszinierenden Schub, einer, der diese Art energischer Antwort auf die EZB gerechtfertigt hätte, aber dann entschied die Regierung ausgerechnet in eben dieser Nacht, dass der Wille des Volkes, dieses widerhallende „Nein“ nicht sein sollte.
Statt dessen sollte es zu größeren Konzessionen der anderen Seite führen: das Treffen des Rats der politischen Führer, in dem unser Premierminister die Vorgabe akzeptierte, gleich was geschieht, gleich, was die andere Seite tut, wir werden nie auf eine Art antworten, die sie herausfordert. Und das bedeutet im Grunde kapitulieren… Man hört auf, zu verhandeln.
HL: Also haben Sie nicht mehr viel Hoffnung jetzt, dass dieses Ergebnis viel besser als das der letzten Woche wird – wenn überhaupt, wird es schlechter?
YV: Wenn überhaupt, wird es schlechter. Ich vertraue darauf und hoffe, dass unsere Regierung auf einer Restrukturierung der Schulden besteht, aber ich kann nicht sehen, wie der deutsche Finanzminister dem in dem kommenden Treffen der Eurogruppe zustimmt. Wenn er das täte, wäre das ein Wunder.
HL: Genau – weil, wie Sie erklärt haben, Sie zu diesem Zeitpunkt keinen Hebel mehr haben?
YV: Das denke ich, das denke ich. Außer, er [Schäuble] erhält seinen Marschbefehl von der Kanzlerin. Das wird man sehen, ob sie eingreift, um das zu tun.
HL: Ich verstehe wirklich wenig von Ihrem Verhältnis zu Tsipras…
YV: Ich kenne ihn seit Ende 2010, weil ich damals ein prominenter Kritiker der Regierung war, obwohl ich ihr einmal nahe stand. Ich stand der Familie Papandreou nahe – auf gewisser Weise tue ich es immer noch – aber ich wurde prominent … damals war es eine wichtige Nachricht, wenn ein ehemaliger Berater sagte,“Wir tun so, als hätte kein Bankrott stattgefunden, wir versuchen, ihn mit neuen, unhaltbaren Krediten zu überdecken“, solche Sachen.
Damals schlug ich einige Wellen, und Tsipras war ein sehr junger Anführer, der versuchte, zu verstehen, was vorging, worum es bei der Krise ging, und wie er sich selbst positionieren sollte.
HL: Gab es ein erstes Treffen, an das Sie sich erinnern?
YV: Oh ja. Es war Ende 2010, wir gingen in eine Cafeteria, zu dritt, und meine Erinnerung ist, dass er damals nicht genau wusste, was seine Sicht war, was Drachme oder Euro betrifft, die Ursachen der Krise, und ich hatte sehr, sagen wir mal, „festgelegte Vorstellungen“, was passierte. Und damit begann ein Gespräch, dass sich über die Jahre hinzog, und dass .. ich glaube, ich habe geholfen, seine Sicht darauf, was getan werden muss, zu formen.
HL: Wie fühlt es sich jetzt an, nach viereinhalb Jahren, nicht länger an seiner Seite zu arbeiten?
YV: So fühle ich das nicht, ich fühle uns sehr nahe beieinander. Unsere Trennung war extrem freundschaftlich. Wir hatten nie ein Problem miteinander, nie, bis heute nicht. Und ich bin sehr eng mit Euclid Tsakalotos [dem neuen Finanzminister].
HL: Und werden sie mit beiden noch diese Woche reden?
YV: Ich habe diese Woche noch nicht mit dem Premier gesprochen, in den letzten Tagen, aber mit Euclid, ja, und ich betrachte Euclid als jemand sehr Nahen, wie er auch, und ich beneide ihn überhaupt nicht. [Kichert]
HL: Wären Sie schockiert, wenn Tsipras zurückträte?
YV: Heutzutage schockiert mich nichts mehr – unsere Eurozone ist ein sehr feindseliger Ort für anständige Menschen. Es würde mich auch nicht schockieren, wenn er bleibt und ein sehr schlechtes Abkommen akzeptiert. Weil ich verstehen kann, dass er eine Verpflichtung den Menschen gegenüber fühlt, die ihn unterstützen, uns unterstützen, dieses Land nicht zu einem gescheiterten Staat werden zu lassen.
Aber ich möchte einfach nicht meine Vorstelungen verraten, die ich schon 2010 geschärft habe. Dieses muss Land aufhören, weiterzuschieben und so zu tun, wir müssen aufhören, neue Kredite aufzunehmen und vorzugeben, dass wir das Problem gelöst haben. Man darf sich nicht einreden, dass es nicht stimmt, dass unsere Schulden noch unhaltbarer gemacht wurden unter den Bedingungen weiterer Austerität, die die Wirtschaft noch weiter schrumpfen lässt; und die Last auf die Habenichtse abwälzt, eine humanitäre Krise auslöst. Das ist etwas, was ich nicht akzeptieren werde. Da werde ich nicht mitmachen.
HL: Eine letzte Frage – werden Sie irgendjemand verbunden bleiben, mit dem Sie verhandelt haben?
YV: Hm, ich weiß nicht. Ich werde jetzt keine Namen nennen, um ihre Karrieren nicht zu zerstören! [Lacht]