WER RETTET DIE EU?

Mit dem kürzlich verliehenen Friedensnobelpreis hat die EU eine Ehrung für ihren Beitrag zur Völkerverständigung und Festigung des Friedens bekommen. Der Preis war allerdings zugleich eine Mahnung: Noch nie war dieses Werk so gefährdet. Ja, es ist nicht ausgeschlossen, dass die EU – vor allem der Euro - vor einem Abgrund steht.
 
Nicht die vielgescholtenen Bürokraten, die einst die Krümmung der Gurke normierten, haben zu dieser Krise geführt. Nein, eine wesentliche Triebfeder dieses Niedergangs wird selten wahrgenommen: Der zuerst in den USA und England, seit 2000 aber auch in Deutschland und Frankreich von jeglichen Beschränkungen befreite internationale Finanzmarkt.
 
Ehemals verbotene Finanzinstrumente verhalfen Griechenland zum Euro
Während heute europäische Politiker höchsten Respekt vor dem Befinden der Märkte haben – mal sind die Märkte verstimmt, dann enttäuscht - war das große Finanzkapital  von den Möglichkeiten der EU und der Einführung des Euro anfangs durchaus begeistert. Die führenden Finanzkonzerne wie Goldman Sachs, UBS und Merrill Lynch hatten beispielweise Griechenland geholfen, in die Eurozone aufgenommen zu werden, indem sie in wenigen Wochen praktisch die Hälfte der griechischen Staatsschulden „wegzauberten". Das heute so umstrittene Land bekam so den Euro. Doch mit Zaubern hatte das natürlich nichts zu tun, sondern nur mit den bis in die 90er Jahre verbotenen Derivaten, genauer mit der Derivatklasse der SWAPS. Diese Finanzinstrumente erlauben es u.a. , hinderliche Schulden zum Verschwinden zu bringen und auf andere Träger und/oder andere Zeitpunkte zu transferieren. Aber weg sind die Schulden damit natürlich nicht. Überhaupt sollte Mensch wissen, dass mit Derivaten jede Bestimmung, jedes Gesetz und jede Steuer umgangen werden kann. Der Film „Wer rettet wen" wird dies an zahlreichen Beispielen verdeutlichen.
 
Auch Italien hat beraten u.a. von der Deutschen Bank von den neuen Finanzinstrumenten reichlich Gebrauch gemacht, um die Maastricht-Kriterien einhalten und dem Euro beitreten zu können . Die SWAPS in Griechenland haben hauptsächlich den Zeitpunkt transferiert. So kamen die „weggezauberten" Kredite ab 2008 wieder hoch, allerdings nun um ein Vielfaches vermehrt – Goldman Sachs wollte ja an der Aktion etwas verdienen.
 
Wie die Verschuldung der EU-Staaten begann
Schon hier wird deutlich: Die Verschuldung der EU-Länder hat sicher nicht allein mit mangelhaftem Sparwillen zu tun. Der Finanzmarkt und seine neuen Finanzinstrumente haben ganz wesentlich zu diesen Schulden beigetragen. Hinzu kommt: Als Anfang 2000 der Derivatenhandel und die Hedgefonds freigegeben wurden, fielen die Ländergrenzen für Kapitalverkehr, und überall begann ein Wettbewerb um die niedrigsten Steuern für Unternehmen und Reiche. In sich ist das sehr logisch. Wenn Staaten die Schranken für Kapitalverkehr fallen lassen, müssen sie bei jeder Steuer fürchten, dass Unternehmen und frei floatendes Kapital sich dem Nachbarland zuwenden, wo sie kaum Steuern, Öko- und Sozialabgaben zahlen. Irland war in dieser Weise der Liebling des großen Kapitals. Sinkende Reichen- und Unternehmensbesteuerung konnte nur durch höhere Verschuldung ausgeglichen werden. Dies war bis 2008 der wesentliche Grund, warum die Verschuldung der EU-Staaten seit Ende der 90er Jahre rasant anstieg.
 
2008 wurden diese Schulden noch einmal verdoppelt
Rasant wuchs auch die private Verschuldung und die der Wirtschaft, dank der Kreditderivate, der Erfindung des neuen Jahrtausend. Kreditderivate erlauben es den Banken, ihr Kreditvolumen ins Unendliche auszuweiten, völlig unabhängig von der Güte und der Sicherheit der ausgegebenen Anleihen. Als dann 2008 diese Blase platze, wurden die großen der aufgeblähten Banken sämtlichst von ihren „Heimat"-Staaten mit vielen hundert Milliarden gerettet. Die Staaten wurden entsprechend ärmer, ihre Schulden stiegen in Höhe der Hilfen – sie verdoppelten sich im Schnitt. Für die Geretteten, durch den Status der Systemrelevanz noch stärker geworden, Anlass genug, nun ihre geschwächten Retter anzugreifen.
 
Spardiktat ignoriert die wesentlichen Ursachen der Staatsverschuldung
Ein wesentlicher Aspekt dieses Angriffs war der Vorwurf, die angegriffenen Staaten von Griechenland bis Portugal hätten nicht genug gespart. Damit werden allerdings die wesentlichen Ursachen der Verschuldung unterschlagen, die Steuersenkungen und die milliardenschere Rettung der Finanzkonzerne. Seither wird die EU von einem Fiskalpakt regiert, der ganz Europa zum radikalen Sparen zwingt. Die Griechenland, Portugal, Spanien und Italien verordneten radikalen Sparprogramme ruinieren seitdem die Wirtschaft dieser Länder, vermindern Steuereinnahmen und steigern die Schulden noch weiter – ein Teufelskreis. Und ein Wahnsinn, aber einer mit System.
 
Regie führen, die daran verdienen
Frau Merkels finanzpolitischer Berater ist Alexander Dibelius, Goldman Sachs – Chef Deutschlands. Zum Vorsitzenden der Kommission, die neue Regeln für die internationalen Finanzmärkte ausarbeitet, hat Merkel Otmar Issing gemacht, einen hochrangigen Berater von Goldman Sachs. Der EZB-Präsident Mario Draghi war zuvor Vize-Präsident von Goldman Sachs Europe. Diese Liste lässt sich fast beliebig verlängern. Doch selbstverständlich sind es nicht allein die „Goldmänner", die Europa immer tiefer in die Krise führen. Dezente Regie führen vor allem die Ratingagenturen Moody's, Standard & Poor's und Fitch. Wie schon in der „Asienkrise" von 1997/98 stufen sie die Staaten eines Wirtschaftsraums scheibchenweise herab. Vor allem die Eigentümer von Moody's und Standard & Poor's verdienen daran bestens. Dies sind u. a. Hedgefonds wie Capital World, die Tochter von Allianz „Pimco" und natürlich Goldman Sachs, die alle aus Staatsanleihen Derivate, also Wetten machen. 97% der Euro- Geldströme sind z.Zt. Derivate.
 
Nur die Banken werden gerettet
Nur mit dem Einfluss dieser Interessen ist es erklärlich, das die EU seit Beginn der Krise beharrlich gen Abgrund steuert. Eine konsequente Entschuldung hätte Griechenland 2009 mit geringstem Aufwand aus der Krise geführt. Stattdessen wurde der Schwindler, der Griechenland mit Hilfe von Goldman Sachs in den Euro geführt hat, als Ministerpräsident eingesetzt. Als er abtrat, war das Risiko der griechischen Schulden nicht mehr das der Banken. Jetzt ist es unseres. Die weit mehr als 240 Mrd. € Schulden wurden auf Europas Steuerzahler übertragen. Statt Griechenland zu retten wurden die Hedgefonds und Banken gerettet. Und Griechenland treibt ohne jede Hoffnung immer tiefer in die Krise, in eine immer aussichtslosere Verschuldung.
 
Dasselbe in Spanien. Das Land ist zwar weniger verschuldet als etwa Deutschland. Überschuldet ist das Land nur durch die Haftung für die in Spanien ansässigen Banken. Wieder sollen nur die Banken gerettet werden. Und dabei geht es keineswegs um das spanische Bankenkapital. Experten des IWF haben ausgerechnet, dass dort zu 80% die Risiken der 5% reichsten Finanzinvestoren aus aller Welt gerettet werden sollen – natürlich wieder auf Kosten der europäischen Steuerzahler.
 
Dem gemeinsamen Dach droht die Sprengung
Diese Politik hat dazu geführt, dass in Italien, Spanien, Portugal, Irland und Griechenland jeglicher Kredit auch für Privatkunden viel mehr kostet als in Deutschland. So hat sich ein ganzes System immer weiter auseinandertreibender Wettbewerbsfaktoren gebildet – und stets nur in eine Richtung: Die wirtschaftlich starken Staaten haben immer bessere Bedingungen, die schwachen immer schlechtere. Das geht nicht mehr zusammen, das sprengt das gemeinsame Währungsdach.
 
Aber noch ist eine Umkehr möglich.