19.11.2012: Ein Aufruf zur Solidarität mit den Menschen in Griechenland
Das Bild war schockierend. Mitte September haben vor dem griechischen Parlament Menschen mit Behinderungen, Krebskranke und chronisch Kranke gegen weitere Kürzungen im Gesundheitssektor protestiert. Beim neuen Sparpaket rechnet man mit weiteren Einschnitten von mehr als einer Milliarde Euro.
Katerina, eine 50-jährige Rollstuhlfahrerin erzählte während der Demonstration, dass sie nicht mehr alle ihre Medikamente bezahlen kann und sich daher auf ein vorzeitiges Ende vorbereitet. Maria, eine 37-jährige, die an Multipler Sklerose leidet, sagte dass sie und ihr Freund, der an einer seltenen Krankheit leidet, überlegen, nach China auszuwandern, weil sie dort nach internationalem Recht ihre Medikamente bekommen würden. Sie erzählte ebenfalls von erwachsenen Patienten mit chronischen Krankheiten, die selber eine Warteliste erstellten, um abzusichern, dass wenigstens Kinder, die an derselben Krankheit leiden, ihre Medikamente bekommen werden und somit eine Chance zum Überleben haben. In einem Artikel der New York Times wird über Elena berichtet, deren Brusttumor schon so groß ist, dass er die Haut zerrissen hat. Die Frau ist arbeitslos und unversichert und hat somit keinen Zugang zur kostenlosen Gesundheitsversorgung.
Diese vielen tragischen Geschichten, die inzwischen alltäglich sind im heutigen Griechenland, gehen meistens unter in der Berichterstattung der ausländischen Medien über internationale Rettungspakete, geforderte Reformen und korrupte Politiker.
Bei unseren Recherchen über das Zusammenbrechen des Gesundheitssystems in Griechenland wegen des neu fusionierten aber schon stark verschuldeten nationalen Trägers für Gesundheitsleistungen des öffentlichen Gesundheitssystems (EOPYY), sind wir aber auch auf Menschen gestoßen, die freiwillig ihre Zeit und Kraft einsetzten, um denjenigen zu helfen, die nicht das Geld haben, sich privat behandeln zu lassen oder Medikamente aus der eigenen Tasche zu zahlen. Wir haben sie in einigen der sozialen Arztpraxen getroffen, die in vielen Teilen Griechenlands von Freiwilligen aufgebaut wurden, und während ihres sehr belastenden Alltags auf der Suche nach einer Lösung bei Terminen im Gesundheitsministerium oder anderen Institutionen.
Die Idee, Organisationen, Gruppen und Individuen im Ausland zu informieren und zu kontaktieren, um Solidarität aufzubauen, ist ein Hoffnungsschimmer. Gefragt sind Zusammenhalt, Vernetzung, materielle Spenden wie Medikamente und vieles mehr.
Der Verantwortliche der sozialen Arztpraxis in Elliniko, Giorgos Vichas, und die Vorsitzende der Kommission für die Forderung der Rechte der Krebskranken, Evi Galazivou, haben zwei kurze Texte geschrieben, um aus ihrer persönlichen Sichtweise die Situation im griechischen Gesundheitssystem zu schildern. Die Texte sind unten angehängt und sind dazu gedacht, so breit wie möglich gestreut zu werden. Für eventuelle Spenden von Medikamenten oder andere solidarische Aktionen kontaktiert bitte direkt diese zwei Ansprechpersonen über die angegebenen Kontaktdaten.
Mit dem Infomobil sind wir seit 2010 an den verschiedenen Brennpunkten der Migration in Griechenland unterwegs (siehe auch: http://infomobile.w2eu.net/). In Zeiten massiver Entrechtung und sozialer Verwüstungen im Rahmen europäischer Krisenlösungsprogramme lassen sich die Probleme von MigrantInnen und Flüchtlingen nicht unabhängig betrachten. Wir werden daher den Versuch unternehmen, auch regelmäßig von praktischen Solidaritätsprojekten zu berichten. Es ist Zeit für ein anderes, ein solidarisches Europa.
Mit solidarischen Grüßen aus Griechenland,
einige Aktive des Infomobil und des antirassistischen Netzwerks „Welcome to Europe“
Für weiterführende Informationen zum Thema, siehe:
http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/erbitux-merck-liefert-keine-krebsmedikamente-an-griechische-kliniken/7341406.html
Informationen zur sozialen Arztpraxis Elliniko/Athen
Von Giorgos Vichas - Kardiologe und ehrenamtlicher Arzt in der sozialen Arztpraxis in Elliniko
Die soziale Arztpraxis im Athener Stadtteil Elliniko wurde im Dezember 2011 mit dem Ziel eröffnet, medizinische Versorgung für diejenigen Patienten anzubieten, die ihren Arbeitsplatz und somit auch ihre Krankenversicherung verloren haben und mittellos sind. Im Zeitraum von Dezember 2011 bis August 2012 besuchten 1.200 Patienten die soziale Arztpraxis. Allein im September und Oktober 2012 waren es dann schon 1.300!
Abgesehen von dieser rasanten Zunahme der Patienten, die wir täglich behandeln, haben sich auch deren Bedürfnisse drastisch erhöht:
- Eltern, die wegen finanzieller Schwierigkeiten an Babymilch sparen müssen, bringen uns ihre unterernährten Babys. Es handelt sich meist um arbeitslose Eltern. Aus diesem Grund sammeln wir Säuglingsnahrung, um diese Familien zu unterstützen.
- Es kommen auch viele schwangere Frauen in die soziale Arztpraxis. Davon sind viele schon im siebten Monat schwanger, ohne bislang einen Frauenarzt besucht zu haben und ohne irgendeinen pränatalen Test gemacht zu haben (Bluttests, Ultraschall ersten oder zweiten Niveaus, etc).
- Es kommen Krebspatienten zu uns, die schon ein ärztliches Rezept für Chemo- oder Strahlentherapie besitzen, das drei, vier oder sogar fünf Monate alt ist, die aber keine Behandlung gemacht haben, weil sie diese in keinem öffentlichen Krankenhaus erhalten. Seit der Verabschiedung der Sparmemoranden - in den letzten 2,5 Jahren muss man entweder krankenversichert sein oder aus der eigenen Tasche zahlen, damit man in einem öffentlichen Krankenhaus behandelt werden kann! Die unversicherten und mittelosen Patienten sind zum Tode verurteilt!
- Es kommen auch Patienten zu uns, die an schweren Krankheiten leiden und teure Untersuchungen machen müssen, wie CT- oder MRT-Aufnahmen, es sich aber nicht leisten können.
- In letzter Zeit besuchen die soziale Arztpraxis in Elliniko auch Patienten, die zwar noch versichert sind, aber ihre Kostenbeteiligung an den Medikamenten nicht bezahlen können (der Eigenbetrag liegt inzwischen bei 25%) oder an Untersuchungen (Eigenbetrag 15%). Es handelt sich um Patienten mit niedrigem Einkommen oder niedriger Rente, die durch die dramatische Verringerung der Löhne und die Erhöhung der Steuern nicht in der Lage sind, für ihre Gesundheitsversorgung zu zahlen.
In den nächsten Monaten, vor allem in Folge der Annahme neuer Maßnahmen des dritten Sparmemorandums, wird nach unserer Einschätzung die humanitäre Krise in Griechenland noch dramatischere Ausmaße annehmen. Tausende Patienten werden sterben und die Anzahl derjenigen, die Hilfe von der sozialen Arztpraxis in Elliniko suchen werden, wird enorm zunehmen!
Wir hoffen. mit unserem Aufruf auch außerhalb Griechenlands auf praktische Solidarität zu treffen. Wir machen in Griechenland eine sehr schwierige Zeit durch, versuchen aber gleichzeitig auf eigenen Füßen zu stehen - mit Kampfgeist, Solidarität und Würde!
Giorgos Vichas
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Informationen zur Situation der krebskranken PatientInnen in Griechenland
Von Evi Galazidou - Präsidentin der Kommission für die Forderung der Rechte von Krebskranken
Die Situation der Krebskranken, aber auch der chronisch Kranken, ist in Griechenland zurzeit tragisch. Die Wirtschaftskrise und die Einschnitte der Löhne, Renten und sozialer Zuschläge haben das Einkommen aller Menschen stark gekürzt.
Krebs ist weltweit eine kostspielige Krankheit, wegen den sehr teureren Therapien, den teureren Medikamenten aber auch allen anderen Produkten, die für eine ordnungsgemäße Behandlung notwendig sind (Nahrungsergänzungsmittel, Hormontherapien, Hygieneprodukte, und andere Produkte).
In den letzten zwei Jahren ist es bezüglich der Belastung für eine medizinische Behandlung von Krebspatienten in Griechenland zu signifikanten Änderungen gekommen. Die Versicherten müssen bei der Lieferung der Medikamente mitbezahlen. Der Eigenanteil bei den Nahrungsergänzungsmitteln liegt bei 10%, was sehr teuer ist (850 Euro monatlich). Diese sind aber notwendig, um die durch den Krebs verursachte Anorexie und Kachexie zu behandeln.
Die Unfähigkeit der öffentlichen Krankenhäuser und diagnostischer Institute, Hilfe anzubieten führt die Krebspatienten zwangsläufig in den privaten Sektor, wo sie ebenfalls mit 10% Prozent Eigenanteil an den medizinischen Untersuchungen beteiligt werden und bei der Therapie mit größeren Beträgen. Die Krebspatienten werden auch mit anderen Beiträgen belastet (je nach Preis des Medikaments) wenn sie das Original-Medikament und nicht Generika auswählen.
Mit den neuen Sparmaßnahmen wird sich auch die Teilnahme der Patienten an den Arzneimittelausgaben erhöhen. Dazu gibt es noch eine große Anzahl von Personen, die wegen Arbeitslosigkeit und ihrer schlechten finanziellen Lage nicht mehr ihre Beiträge an die Pensionskassen zahlen können und deswegen auch von denen nicht mehr gedeckt werden.
All dies macht die medizinische Behandlung von Krebs und seinen Auswirkungen und Symptomen sehr oft nahezu unmöglich. Somit werden viele Patienten nicht behandelt oder können ihren Anteil an den Arzneimittelkosten nicht bezahlen. Eine direkte Gefahr für viele Leben!
Wegen der wiederholten Proteste der Apotheker haben seit Juni zwangsläufig viele Patienten ihre sehr teuren Medikamente aus eigener Tasche bezahlt. In vielen Fällen haben sie diese bis heute nicht von ihren Krankenkassen rückerstattet bekommen. Die Erstattung der Gelder für Nahrungsergänzungsmittel verzögert sich um zwei Monate. Deswegen können viele Krebskranke diese Medikamente nicht mehr kaufen.
Dazu kommt noch der Mangel an Chemotherapeutika in den öffentlichen Krankenhäusern und bei dem nationalen Träger für Gesundheitsleistungen des öffentlichen Gesundheitssystems (EOPYY). Erst vor kurzem wurde beklagt, dass Krebspatienten auf Kreta - unter ihnen auch Kinder - aus abgelegenen Dörfern in die staatlichen Krankenhäuser von Heraklion gefahren sind, um ihre Chemotherapie zu machen, aber diese dann annulliert worden ist, weil es nicht die notwendigen Medikamente gab.
Wegen der oben geschilderten Situation fordern wir aus tiefstem Herzen Eure Solidarität und bitten um jede Art von Unterstützung.
Evi Galazidou, Präsidentin der Kommission für die Forderung der Rechte von Krebskranken
Τel: 0030 210 6202949
Mobil: 0030 6977 691600
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