Dr. Ulrich Thielemann, Direktor MeM – Denkfabrik für Wirtschaftsethik, Berlin

Die Entzauberung des Business Case for Ethics

Die Diskussion um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen (CSR) ist nach wie vor vom Glauben an den so genannten „Business Case for Ethics“ bestimmt.Dr Thielemann k Dabei wird ganz selbstverständlich vorausgesetzt, dass sich verantwortungsvolle Unternehmensführung langfristig auszahle. Folglich könnten Unternehmen, die ihre Gewinne tatsächlich maximieren – natürlich langfristig, nicht kurzsichtig – ethisch gar nichts falsch machen. Ausgerüstet mit dieser ideologischen Grundüberzeugung fühlen sich Unternehmen darin moralisch bestätigt, mit der Gewinnmaximierung fortzufahren, um für die Investoren das meiste herauszuholen – auch für Kurzfris tinvestoren, um derer langfristiger Erfolgsbilanz willen. Diese Investoren sind in den Stand der „Prinzipale“ der Unternehmen gesetzt worden, denen alle Vorrechte zustehen. Das Management agiert als deren „Agenten“, und die übrigen Beteiligten und Betroffenen sind nichts weiter als „Ressourcen“ zum Zwecke der Gewinnsteigerung.

Die Public Eye Awards widerlegen diese ökonomistische Ideologie jedes Jahr erneut, und zwar nicht nur theore tisch, sondern ganz praktisch. Bei den Unternehmen, die dieses Jahr zur Aufnahme in die „Hall of Shame“ krass unverantwortlicher Geschäftsführung nominiert sind, handelt es sich durchwegs um höchst profitable Firmen. Die zusammengenommen 43 Milliarden Dollar Jahresgewinn haben diese 7 Firmen zumindest teilweise gerade darum eingefahren, weil sie verantwortungslos agieren. Im Unterschied zur bloßen Gewinnerzielung lässt Gewinnmaximierung keinen Raum für ethische Rücksichtnahmen. Gewinnmaximierung ist die gewichtigste Ursache für das ethische Fehlverhalten von Unternehmen.

Radikale Gewinnmaximierung in der Praxis

Radikale Gewinnmaximierung bedeutet etwa, die Vorteile durch Bestechungszahlungen gegen die Risiken des Auffliegens, etwa in Form von Geldbußen, aufzurechnen. Dies scheint bei Alstom so betrieben zu werden. Solange die “Risiken” tiefer ausfallen als die Gewinn-­‐„Chancen” wird weiterhin bestochen.

Die grobschlächtigeren Formen der Gier nach Gewinnen finden sich in der Rohstoffindustrie. Trotz der gigantischen Gewinne, die gerade in Zeiten der Rohstoffknappheit eingefahren werden, gilt besonders hier die Maxi-­‐ me: Kosten senken um jeden Preis, d.h. auf Kosten der Beschäftigten, der lokalen Bevölkerung und der Umwelt. Einige Unternehmen schrecken sogar nicht davor zurück, sich zu Komplizen bei der Verletzung des elementarsten aller Menschenrechte, der Integrität des menschlichen Lebens, zu machen.

Was die „vornehmeren“, zwar manifest gewaltfreien aber kaum minder niederträchtigen Formen der Verantwortungslosigkeit anbelangt, so verschlägt einem die Dreistigkeit, mit der Goldman Sachs die ganze Welt hinters Licht führt, den Atem. Natürlich wissen die Leute von Goldman Sachs ganz genau, dass die gigantischen Gewinne, die die Bank für sich verbuchen darf, vor allem Abschöpfungserfolge sind, die am Ende unbescholtene Steuerzahler zu berappen haben.

Die Verantwortung der Wissenschaft

Wo nur lernen diese Leute so zu handeln? Sie lernen es an Wirtschaftsfakultäten und Business Schools. Diese stehen in den Rankings umso höher, je mehr Geld ihre Absolventen als Manager einzustreichen vermögen. Das sind die „Talente“. Sie lernen im Studium nicht nur, wie man Gewinne erzielt, sondern wie man Gewinne maximiert.

Mit seinem Bestseller-­‐Lehrbuch „Grundzüge der Volkswirtschaftslehre“ möchte Gregory Mankiw seine Studenten zu „gerissenen“ Teilnehmern am Wirtschaftsleben anleiten. Ihnen werden „die Werkzeuge in die Hand gegeben, mit denen Sie bei Ihrem Streben nach wirtschaftlichem Erfolg leichter vorankommen“, um „reich“ zu werden. Reich werden sie, indem sie als „Agenten“ Investoren reich machen, durch rentabilitätsgesteuerte „Anreize“ und Boni nämlich. Kein Wunder, dass das so verbildete Management die Rechte verletzlicher Anspruchsgruppen missachtet.

Genau das, was man bei der Etablierung des Managementstudiums an den Universitäten Anfang des 20ten Jahrhunderts verhindern wollten, nämlich dass nicht „bloße Techniker des Geldmachens“, sondern „Köpfe“ ausgebildet werden, ist eingetreten. Die Volkswirtschaftslehre liefert die Legitimation, und die Betriebswirtschafslehre versorgt die Studenten mit immer ausgeklügelteren Methoden dafür, wie die Gewinne zu maximieren sind, dabei ohne jede Diskussion voraussetzend, dass dies legitim sei. Die Absolventen lassen sich dann von gierigen Investoren als „Söldner“ (Henry Mintzberg) anheuern. „Wir machen es fürs Geld“, dies ist ihr Lebensmotto, und zwar selbst dann, wenn sie Verantwortung tragen für das Wohlergehen von Tausenden von Beschäftigten, Kunden und anderen Anspruchsgruppen.

Die ökonomistische Gehirnwäsche, in der das Ökonomiestudium heute vielfach besteht, muss ein Ende haben. Es reicht nicht aus, dass die Absolventen nach dem Studium Eide schwören, die Botschaften und Rezepte des Studiums aber die gleichen bleiben. Vielmehr müssen ethische Reflexionen zu einem integralen Bestandteil des Wirtschaftsstudiums werden. Erst wenn der Gewinn als oberstes Prinzip unternehmerischen Handelns entthront ist, öffnet sich der Raum für echte Unternehmensverantwortung.

Die Notwendigkeit einer globalen Regulierung

Warum nur bereiten die Staaten dem verantwortungslosen Treiben von Unternehmen wie den nominierten kein Ende? Dies hängt vor allem damit zusammen, dass die Globalisierung auch noch die Staaten und ihre jeweilige Politik dem Wettbewerb unterworfen hat. „Wohlgeordnet“ nannte John Rawls eine Gesellschaft, die „nicht nur auf das Wohl ihrer Mitglieder zugeschnitten ist, sondern auch von einer gemeinsamen Gerechtig-­‐ keitsvorstellung wirksam gesteuert wird.“ Wirksam gesteuert werden die Gesellschaften heute stattdessen von einer anderen Kraft, nämlich von „den Märkten“, vor allem vom global zirkulierenden Kapital, für dessen grenzenlose Renditewünsche man sich „fit“ zu machen habe. „Wettbewerbsfähigkeit“ wird so zum Oberziel der nur mehr „marktkonformen Demokratie“, dem sich alles weitere unterzuordnen hat.

Darum dürfte etwa Indien dem verheerenden Treiben von Coal India kein Ende setzen: Das Geschäftsmodell billiger Kohle, welches auf dem Rücken von Beschäftigten, Gemeinschaften und der Umwelt betrieben wird, versorgt Indien mit dem globalen Wettbewerbsvorteil billiger Energie.

Als im Jahre 2004 die U.N. Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and Other Business Entities nach jahrelanger Vorbereitung durch Lobbying mächtiger Unternehmensverbände scheiterten, war damit die Chance einer Weichenstellung hin zu einer globalen Rahmenordnung zunächst vertan. Das Scheitern fiel in die Hohezeit von Marktgläubigkeit und Neoliberalismus, denen praktisch alle politischen Strömungen verfallen waren. Das Anliegen, dem Ausspielen der Nationen durch die Kräfte marktmächtiger globaler Akteure ein Ende zu setzen, gilt es erneut auf die weltinnenpolitische Tagesordnung zu setzen.

Sogenannt “freiwillige” Standards verantwortungsvoller Unternehmensführung, so sie ernst gemeint sind, sind sicher ein guter Anfang, aber kein Ersatz für eine globale Rahmenordnung. Darum haben mehr als 50 zivilge-­‐ sellschaftliche Organisationen der Schweiz die Kampagne „Recht ohne Grenzen“ lanciert. Sie fordern die Schweizer Politik dazu auf, einen rechtsverbindlichen Rahmen für die vielen international tätigen Konzernen, die sich in der Schweiz mit ihren Zentralen niedergelassen haben, zu etablieren, um die soziale und ökologische Verantwortlichkeit der Geschäftstätigkeit der von ihnen effektiv kontrollierten Tochterunternehmen, die überall in der Welt verstreut agieren, zu gewährleisten.

Dies wäre für die Schweiz eine relativ leicht zu bewältigende Aufgabe, da etwaige Nachteile, etwa durch Ab wanderungen hartnäckig verantwortungsresistenter Unternehmen, für das reiche Land kaum ins Gewicht fal-­‐ len. Der Schritt könnte Modellcharakter für andere Länder haben und den Geist einer global koordinierten Regulierung wiederbeleben.

Unternehmen, die es mit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung ernst meinen, sollten einen globalen Rechtsrahmen begrüßen, da er sie vor dem ethisch schmutzigen Wettbewerb durch verantwortungslose Konkurrenten schützt.